Plötzlich stand er in der Tür. Seine Haltung verriet mir bereits, das er mit der selben Kälte heim gekehrt war, weswegen er uns verlassen hatte. Ein Blick in seine Augen genügte, um zu wissen, das es in der Antarktis gerade wärmer war, als in seinem Herzen.
Und doch erinnerten sie mich auch an die guten Zeiten. Die Liebe und das Vertrauen, das wir hatten. Selbst war sein Gang war unterkühlt, als er eintrat. Gerader Rücken, erhobener Kopf, ganz der Geschäftsmann, der er war. Achtlos hängte er seine Jacke auf und stellte seine Tasche ab. Er war in meinem Haus, benahm sich aber, als wäre es seins. Typisch!
Gerade jetzt hasste ich ihn. Dafür, das er uns das aufgezwungen hatte, das er uns die Zeit gestohlen hatte und es nun wagte, hier unverändert wieder aufzutauchen. Genau wegen diesem Unvermögen, hatte er gehen müssen. Genau wegen dieser Verzweiflung, die er kaum kontrollieren konnte. Und ich hatte es auch verstanden. Es brach mir fast das Herz. Nur die Hoffnung danach normal weiter machen zu können, hatte mich damals aufrecht erhalten. Die Zeit heilt alle Wunden, heisst es. Aber das ist gelogen. Nichts heilt. Wir finden nur Wege, uns damit zu arrangieren. Oder eben nicht. Seine ganze Erscheinung lässt mich diesen Schmerz wieder erleben. Als wäre keine Zeit dazwischen. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn im Inneren alles zu zerbrechen droht. Wenn der Schmerz die Seele auf Knie zwingt und dem Körper die Luft zu atmen nimmt.Wenn selbst der Kopf zu keinem Gedanken mehr fähig ist. Es ist wie sterben auf Raten. Und jeder Schritt und jede Bewegung bringen neue Wunden. Sie bluten gemeinsam mit jenen, die wieder aufreissen. Man existiert nur noch durch den Schmerz, wegen dem Schmerz. Er ist seine eigene Therapie, damit man nicht aufgibt. Und damit man nicht vergisst. Für das nächste Mal. Um es besser zu machen.
Besser. Ich wollte es versuchen. Für die Liebe, die ich trotz allem zu ihm empfand.
Gott, er sah so gut aus in seinem Anzug.Gross, schlank und muskulös. Man sah es an den Schultern und den Unterarmen, wenn er die Ärmel hoch krempelte. Seine Anzugshose verbarg nicht, das er gut trainierte Beine hatte. Oder seinen Hintern. Ich kannte jeden Zentimeter. Ohne ihn zu sehen, wusste ich, wie gut er sich anfühlte und wie gut er roch.
Ich suchte nach seinem Blick, in der Hoffnung eine kleine Bestätigung, eine Aufmunterung zu finden, doch er wendete sich immer wieder ab. Als wäre es das Normalste auf der Welt, zog er seine Weste aus und legte sie über einen Stuhl. Dann drehte er mir den Rücken zu und zeigte auf mit einem Finger auf seine Schulter.
„Ich bin da ganz verspannt, kannst du mal kurz?“ Er könnte ein Fremder sein, so wie er da stand und wie er mich ansprach. Er hatte ganz bewusst offen gelassen, was ich „könnte“. Genau das ist seine Art. Sein Spiel, das er gern treibt. Er lässt einem erst Optionen. Schürt Wünsche und Hoffnungen, um sie dann zu zerstören, im dem er doch seinen Willen durchsetzt.
Aber nicht heute, nicht mit mir. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn so sehr, das ein Leben ohne ihn kein Leben ist. Denn ich kenne ihn besser. Entweder bekommen wir das heute hin, oder ich begrabe das „uns“ ganz tief in meinem Herzen, legen Ketten darum und wende mich von all dem hier ab. Plötzlich war es ganz klar. Wir hatten völlig umsonst gelitten. Also ich jedenfalls. Es wurde Zeit, gewisse Sachen zu klären.
Langsam, ganz bewusst trat ich zu ihm. Jeder Schritt auf dem Boden war hörbar. Seine Haltung war steif und schrie förmlich: „Fass mich nicht an!“ Langsam griff ich die dünnen Hosenträger im unteren Rücken und glitt mit den Händen daran nach oben und schob sie dort zärtlich über seine Arme nach unten. Damit hatte er nicht gerechnet. Seine Atmung wurde gerade heftiger. Sehr gut, so konnte es weiter gehen. Ich trat ganz nah an ihn ran, schob meine linke Hand um seinen Oberkörper und legte die Hand mit leicht gespreizten Fingern auf seiner Brust ab. Sofort konnte ich seinen Herzschlag ausmachen. Regelmässig und kräftig, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen.
Gleichzeitig begann ich mit der rechten Hand, seine Schulter zu massieren. Sein gesamter Körpers war angespannt wie ein Tier auf der Flucht. Er stand kerzengerade, mit den Händen hatte er sich auf der Stuhllehne vor ihm abgestützt.
Mit der linken Hand spürte ich seinen Puls, mit der rechten spürte ich seine Muskeln. Durch das Hemd drang seine Wärme und sein Geruch zu mir. Ich schloss die Augen und sog es förmlich in mir auf. Mein Daumen kreiste auf seiner Schulter bis ich ihn langsam am Schulterblatt und neben der Wirbelsäule lang weiter nach unten schickte. Er entspannte sich langsam. Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf an seine Schulter. Wieder oben angekommen massierte ich ihm leicht den Nacken. Am liebsten hätte ich ihn am Hinterkopf gepackt und zu mir umgedreht. „Noch nicht“ flüsterte mein Herz, „noch nicht“ Als hätte er meine Gedanken gelesen, dreht er sich blitzschnell um. Nun hatte ich eine Hand auf seinem Rücken und die Zweite an seiner Kehle. Welch Verlockung! Doch der Gedanke war schneller wieder weg, als er gekommen war. Ich wollte ihn küssen. Ich wollte, dass er mich küsst. Das er mich küssen wollte, und dass das das Einzige war, was er jetzt wollte.
Ich traute mich fast nicht, doch ich schaute ihm in die Augen. Zuerst sah ich nur Lust und Begierde. Und dann Schmerz. Ich sah seinen Kampf, jetzt aufzuhören oder nach zu geben. Dieses hin und her gerissen sein, weshalb er gehen musste. Ich nahm die Hand von seiner Kehle und legte sie auf seine Brust. Das könnte er sein. Der Moment, er alles zum besseren wendet. Und dann spürte ich seine Lippen auf meinen. Erst schüchtern, fast fragend begann er leicht an meinen Lippen zu knabbern. Dann eroberte er meinen Mund und nahm mich mit auf einen Kuss, der die Welt versprach. Ich war atemlos, haltlos und wollte nur noch mehr. Das Brechen seiner Vorbehalte und Zweifel war zu genau spüren. Ich nahm das alles in mir auf und gab ihm all die Liebe zurück, die in meinem Herzen wohnte. Der Kuss wurde immer intensiver. Mir wurde schwindlig und ich konnte mich nur an ihm festhalten. Ich spürte wie er mich nun gegen den Tisch drückte und darauf absetzte. Er umfasste meinen Nacken und legte mich immer noch küssend nach hinten. Ich schob ihn ein kleines Stück von mir. Nur um ihm in die Augen schauen zu können. Das war mein Mann, so wie ich ihn kannte. Genau diesen wollte ich nie wieder hergeben. Es ging ihm wohl ähnlich, denn ich hörte ein kleines zufriedenes Lachen, bevor er mich auf seine Arme nahm, und ins Schlafzimmer trug.
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